Sexismus, Polygamie und strenge Regeln sind an der Tagesordnung – angeblich. Die Kirche Jesu Christi der Heilige der Letzten Tage ist vielen wohl eher unter der Bezeichnung Mormonen ein Begriff. Eine Sekte?
Dieses Wort löst oft negative Gedanken aus. Gehirnwäsche, Isolation und kein Entkommen. Dabei bedeutet Sekte eigentlich nur, dass sich eine Glaubensgemeinschaft von der „Mutterreligion“ abgespalten hat. Das sagen zumindest die „Experten“ im Internet. „Dass der Begriff Sekte von „secare“ (abtrennen, abschneiden) stammt, ist ein häufiger Irrtum.
Die Etymologie ist sich weitestgehend einig, dass Sekte auf „sequi“ (folgen) zurückgeht“, erklärt Tim Bonnke, Gemeindepräsident der Kirche Jesu Christi der Heilige der Letzten Tage in Bremerhaven. „Es dürfte schwierig sein, einen Weltanschauungsbeauftragten der beiden großen Kirchen zu finden, der unsere Kirche als Sekte betrachtet.“
Der große Unterschied zum bekannten Christentum ist, dass die Mormonen neben der Bibel auch noch an ein anderes Buch glauben – das Buch Mormon. Daher kommt auch der bei Ihnen unbeliebte Spitzname. Sie selbst verwenden die Bezeichnung Mormonen nicht. Als Abkürzung eignet er sich aber, denn „Kirche Jesu Christi der Heilige der Letzten Tage“ ist doch etwas lang.
Der Prophet steht in Kontakt zu Gott
Bei meinem Besuch im Gemeindehaus in Bremerhaven wurde mir kein Sack über den Kopf gestülpt, ich wurde nicht an einen Stuhl gefesselt und wurde auch keiner Gehirnwäsche unterzogen. „Alles, was hier passiert, ist freiwillig“, sagt Tim Bonnke.
Gott hat einen Plan für alles und jeden
„Wenn man Gott um etwas bittet, würde er niemandem die Hilfe verweigern“, erklärt Bonnke. Eine naheliegende Frage ist also für mich: Wieso gibt es Kriege, Gewalt, Mord oder Obdachlose? Auch darauf hat der Gemeindepräsident eine klare Antwort. „Wir haben von Gott zehn Gebote bekommen. Wenn jeder sich an diese Gebote halten würde, dann würde die Welt ganz anders aussehen“, meint er.
„Wir glauben, dass die Menschen auf die Erde gekommen sind, um Erfahrungen zu sammeln“, erzählt Bonnke. „Außerdem glaube ich nicht an den Zufall. Wir glauben, dass Menschen Krankheiten haben, weil es in irgendeiner Art und Weise gut für sie ist.“ Leiden, bis zum qualvollen Tod, wie könnte das gut für jemanden sein?
Durch die Erfahrungen, die dadurch gesammelt werden. Nach dem Tod könnten diese von Nutzen sein, wo auch immer man dann ist. „Die Erde ist nur eine Zwischenstation“, glaubt Bonnke.
Kein Kaffee, Tee oder andere Drogen
Für die Mormonen gelten bestimmte Regeln. Kaffee, Tee, Alkohol und sonstige Drogen sind verboten. Wer nicht auf seinen Kaffee am Morgen verzichten kann, wird aber nicht gleich ausgeschlossen. Auch wer mal eine Zigarette raucht, darf weiterhin Teil der Gemeinde sein.
Aber: „Die Menschen mit einem sehr strengen Glauben würden das gar nicht machen“, sagt Bonnke. Und die Ehe mit mehreren Frauen? „Das wird bei uns nicht toleriert. So etwas gibt es vielleicht noch bei Splittergruppen in den USA, die gehören aber nicht zu uns“, betont Bonnke.
Früher soll die Mehrehe gängig bei den Mormonen gewesen sein, um so viele Nachkommen wie möglich zeugen zu können. In Deutschland wäre Polygamie ohnehin verboten.
Wartet die Offenbarung auch auf mich?
Ich wurde nicht festgehalten, manipuliert oder unter den Einfluss von Bliss (eine Droge, die der Realitätsflucht dient) gesetzt. Tim Bonnke hat mich herzlich empfangen und herumgeführt, mir alle Fragen offen beantwortet. „Wir bemühen uns, wie Jesus zu sein“, erzählt er.
Die Gemeinde sei ein Ort der Gemeinschaft, an dem jeder Hilfe bekomme, der sie benötige. „Ich höre oft, dass wir keine Christen sind“, sagt er noch. Dabei sei das Buch Mormon ein Zusatz zur Bibel, an dessen Inhalt die Mormonen glauben. Davon schenkt er mir eins. Ob auch auf mich eine Offenbarung wartet, nachdem ich das Buch gelesen habe – das herauszufinden, wird einige Zeit dauern.
GegenWind: Folge 3
Bei den Mormonen gibt’s keinen Sex vor der Ehe – oder vor den Ehen? Eines der größten Vorurteile ihnen gegenüber ist die Polygamie. Früher war diese ein Bestandteil der „Kirche Jesu Christi der Heilige der Letzten Tage“. Wird das noch toleriert? Darüber unterhalten sich diese Woche Feenke und Laura.