Lieber einem Bären oder einem fremden Mann im Wald begegnen? Die Frage erscheint zunächst sehr skurril zu sein, hat aber in den sozialen Medien für reichlich Gesprächsstoff gesorgt. Frauen sind sich vorwiegend einig und würden einen Bären bevorzugen.
Eine harte Realität, oder? Sie haben weniger Angst vor der Tötungskraft des Bären als vor der Fantasie der Männer. Was ein Bär einem Menschen antun kann, basiert auf Statistiken. Das, was der Mann einer Frau antun kann, basiert auf gelebter Erfahrung.
Mehr Bewusstsein schaffen: nicht alle Männer, aber jede dritte Frau
Natürlich können nicht alle Männer über einen Kamm geschoren werden. Deswegen muss hier klar differenziert werden: nicht alle Männer, auch nicht alle Bären. Aber jede dritte Frau.
In Deutschland wird jede Frau laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt.
Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner.
Gewalt gegen Frauen sind nicht selten, sondern alltäglich
Bären sind Raubtiere. Vielleicht kommen wir aus einer Begegnung mit den Bären nicht lebend heraus. Aber gefressen oder getötet zu werden, ist dann auch schon das Schlimmste, was passieren kann.
Laut dem Fachmagazin „Nature“ wurde für den Zeitraum von 2000 bis 2015 in Europa 291 Bärenangriffe gezählt. 19 Menschen haben die Attacke nicht überlebt.
Doch um die Tötungskraft der Bären geht es in der Debatte nicht. Die Zuspitzung in der Frage soll zeigen, dass Männer eine Gefahr für Frauen darstellen können. Noch viel wichtiger: Die Gefahr durch Männer ist für viele Frauen alltäglich.
Im Jahr 2022 wurden 240.547 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt, sagt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Betroffen sind vorwiegend Frauen. Hinzukommt, dass viele Taten nicht der Polizei gemeldet werden aus Scham oder Angst. Die Dunkelziffer könnte demnach noch höher sein.
Das Problem ist, dass Männer, die uns sexuell belästigen, uns eben nicht im Wald begegnen, sondern in der Schule, im Freundeskreis, auf der Arbeit oder auch in unseren Beziehungen. Es sind keine gruseligen Märchenfiguren, sondern stinknormale Männer.
Bären können wir einschätzen – Männer nicht
Wir wissen, was das potenziell Schlimmste ist, was der Bär uns antun kann. Ein Bär tut nicht so, als ob er uns helfen würde, gewinnt unser Vertrauen, bevor er uns angreift. Ein Bär filmt seinen Angriff nicht und stellt ihn später ins Internet, um uns zu erniedrigen. Ein Bär setzt uns nicht unter Drogen.
Bei einer Bären-Attacke würde uns keiner fragen, ob wir zu anzüglich angezogen waren. Den Angriff eines Bären würden man uns glauben. Ein Bär greift uns nur an, wenn er sich bedroht oder hungrig fühlt. Ein Bär kann nicht anders und ist damit berechenbar. Doch der Mann hat die Wahl, ob er Gewalt als Mittel einsetzt oder nicht.
Totgeschwiegen: Häusliche Gewalt darf nicht ignoriert werden
„Das große Problem ist, dass das Thema ‚häusliche Gewalt‘ heutzutage immer noch unter den Tisch gekehrt wird“, erklärt Hannah Dietzel, Mitarbeiterin im Frauenhaus Bremerhaven.
Für Frauen und Mütter mit Kindern, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, bietet das Frauenhaus einen sicheren Schutzraum. Dort werden sie nicht nur beraten und unterstützt, sondern auch in akuten Situationen in Schutzwohnungen untergebracht. Doch diese Wohnungen sind viel zu rar, die Nachfrage übersteigt bei Weitem das Angebot.
„Die Gesellschaft ist dazu angehalten, mehr über das Thema zu sprechen, damit es mehr an die Öffentlichkeit herangetragen und so präventiv etwas gemacht wird“, fordert Dietzel.
Es darf nicht erst einen TikTok-Trend geben, um auf die alltägliche Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen. Wir dürfen nicht länger die Augen davor verschließen. Stattdessen müssen wir helfen, den Betroffenen zuhören und eingreifen, wenn es nötig ist.
Wer Hilfe benötigt: Telefonnummer vom Frauenhaus in Bremerhaven 0471/83001
GegenWind: Folge 2
Frauen fürchten die Gewaltfantasien von Männern mehr als die Tötungskraft eines Bären. Deshalb würden sie auf die Frage „Bär oder Mann?“ mehrheitlich den Bären wählen. Warum wird ein gefährliches Raubtier gegenüber einem unbekannten Mann bevorzugt? Darüber unterhalten sich diese Woche Laura und Katharina.