Meinung & Analyse Gegenwind

Perfektionismus dank Privilegien: der Prototyp „That Girl“

Das „That Girl“ lebt ein scheinbar makelloses Leben voller gesunder Routinen und Selbstdisziplin. Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Trend, der auf den Sozialen Medien geteilt wird? Und warum Konsum dabei eine große Rolle spielt.

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Die Inszenierung des perfekten Lebens: Hinter den Kulissen von „That Girl“ auf Social Media. Foto: NZ-Grafik

Mit der richtigen Ernährung kann dem eigenen Körper geholfen werden, erklärt die Bremerhavener Gesundheitsberaterin Susanne Peters. Jeder Mensch könne demnach Krankheiten so weit beeinflussen, bis zu dem Punkt, an dem die Genetik und äußere Einflüsse sich einschalten.

Ideal und Illusion in den Sozialen Medien

Probleme mit diesen zuletzt genannten Faktoren scheinen manche Frauen auf Instagram & Co. nicht zu haben: Sie sind „That Girl“. Sie kennt keinen Stress oder schlechte Ernährung, denn diese Frau hat alles im Griff. Ihr Tag startet mit einem Eintrag im sogenannten „Journal“ – also einem Tagebuch, in dem sie sich die endlose To-do-Liste für den Tag notiert. Aber nicht vergessen, dankbar für die Aufgaben zu sein. Danach widmet sich „That Girl“ ihrem perfekten Körper. Eine entspannende Yogaeinheit oder doch lieber ein intensives Krafttraining, bei dem die Muskeln definiert werden – aber bloß nicht zu sehr, damit die makellose Weiblichkeit nicht schwindet. Der unangenehm produktive Morgen endet mit einem Matcha Latte um 7 Uhr, wenn die meisten Menschen erst aufstehen. Selbst das Duschen wird zelebriert, indem die sorgfältig kuratierten Handtücher in einem Auffangbehälter aufgewärmt werden. Anschließend wird das Gesicht mit Lotionen und Seren verwöhnt. „That Girl“ schafft in der Zeit von 5 bis 8 Uhr schon mehr als die meisten am ganzen Tag. Sie arbeitet natürlich – und das nicht zu knapp, aber führt allen anderen dabei vor, dass ein Vollzeitjob nicht bedeuten muss, sich und seinen Körper zu vernachlässigen. Deshalb isst sie auch gesund.

Was steckt hinter der wunderschönen Fassade?

Sie ist also perfekt? Mit Sicherheit nicht, denn auch „That Girl“ ist schlussendlich nur ein Mensch, der nicht immer zu 100 Prozent funktionieren kann. Sie lässt es ihre Zuschauer lediglich denken. Dadurch werden die eigenen Routinen infrage gestellt. Wie kann es sein, dass ich immer noch erschlagen bin, wenn der Wecker im 7.30 Uhr klingelt? Warum habe ich nach der Arbeit keine Energie mehr, ein Essen zu kreieren, was selbstverständlich ästhetisch und gleichzeitig die ausgewogene Heilige Dreifaltigkeit aus Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten beinhaltet? Warum ist mir mein Körper es nicht wert?

Diese Fragen sind nicht grundsätzlich mit den offensichtlichsten Gedanken zu beantworten, wie zum Beispiel: Ich bin schlichtweg müde – von den nicht enden wollenden tagtäglichen Aufgaben, der anstrengenden Lohnarbeit oder sozialen Verpflichtungen. Wie bei fast allem in unserer kapitalistisch geprägten Welt spielt auch bei dem Trend des „That Girls“ Geld eine große Rolle.

Mehr ist mehr: ein perfektes Leben kaufen

Erinnern wir uns zurück an die ersten drei Stunden ihres Tages, bei dem vielleicht nicht augenscheinlich der Konsum im Vordergrund steht. Um fair zu bleiben: Der Handtuchwärmer ist definitiv ein Overkill (übertrieben), aber auch die Cremes, das Tagebuch, die hochwertige Bettwäsche, der Milchaufschäumer und alles, was sonst noch dazugehört, kostet nun mal Geld. Geld, welches nicht jeder in diesem Umfang zur Verfügung hat. Was aber vor allem diese zumeist dünnen, in beige gekleideten Frauen eben haben. Das bedeutet keineswegs, dass alle, die in dieses Stereotyp passen, einen Sechser im Lotto gezogen haben. Dennoch ist auffällig, dass die von Beige umgebenen Frauen, diejenigen sind, die sich einen solchen Lifestyle leisten können.

Geld ist nicht alles: Glück in den kleinen Dingen finden

Mit Blick auf Deutschland muss klargestellt werden, dass eine gesunde Ernährung nicht teuer sein muss. Dieses Stigma ist hier auch nicht so weit verbreitet wie in Amerika. Hier ist es vor allem der Zeitfaktor, der immer wieder als Ausrede für eine ausgewogene Ernährung genutzt wird. Das beobachtet auch die Ernährungsberaterin Susanne Peters. Aber um „That Girl“ zu werden, reicht es eben nicht, sich einen Avocadosalat zu machen. Im Gegenteil, alles muss perfekt sein. Dazu braucht es Zeit und Geld, was manch einer legitimerweise lieber in etwas anderes investiert als ausschließlich in sich selbst.

Anstelle der neuen Yogahose kann genauso gut ein Kinoticket, ein Kaffee und ein Stück Kuchen gekauft werden. Welche Dinge priorisiert werden, liegt in den eigenen Händen. Solange das gegeben ist, sind selbstverständlich beide Lebensweisen okay. Die Kritik am „That Girl“-Trend zielt vielmehr darauf ab, dass die vermeintlich freie Wahl eines Lifestyles verloren geht im Hagel der Produktpräsentation. Wodurch ein falsches Bild entstehen kann, bei dem die Prämisse ist: Kauf dies oder das, dann wirst auch du zum „That Girl“. Aber liegt das Glück nicht eigentlich im Einklang mit sich und seinem Körper, damit der sonst so anstrengende Alltag einen nicht verschluckt?

GegenWind: Folge 1

07.06.2024
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Das „That Girl“ lebt ein scheinbar makelloses Leben voller gesunder Routinen und Selbstdisziplin. Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Trend, der auf den Sozialen Medien geteilt wird? Und warum Konsum dabei eine große Rolle spielt. Darüber unterhalten sich diese Woche Anni und Katharina.

Katharina Hopp

Volontärin

Katharina Hopp ist 1997 in der Kleinstadt Nordhorn geboren und aufgewachsen. Zum Studium hat es sie nach Bremen gezogen. Die Stadt ist zu ihrer Wahlheimat geworden. Nach einem Studium der „Public History“ ist sie nun bei der NORDSEE-ZEITUNG als Volontärin tätig.

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