„Sarah Wolf. 56 Jahre. 1941 nach Riga verschleppt, 1942 ermordet. Ludwig Hönigsberger. 80 Jahre. 1942 nach Theresienstadt verschleppt. Am 11. Oktober 1942 ermordet...“ Name auf Name. Datum auf Datum. Die Stimme in Dauerschleife, tagsüber ununterbrochen. Grundrauschen. Es sind keine Namen aus Bremerhaven, es sind Namen aus Bayreuth. Namen der Opfer der Nazi-Verbrechen. Es sind „klingende Stolpersteine“, eingebaut ins Kopfsteinpflaster der Innenstadt. Als ich gerade dort war, hat es mich tief erschüttert. Mit welch simplem, unaufwendigem Mittel die Stadt Bayreuth sinnlich wahrnehmbare, nicht zu überhörende Zeichen setzt. Als ich gerade am Deutschen Auswandererhaus über den Marie-Jucharz-Platz zwischen Eingang und Kaje schlenderte, schoss es mir durch den Kopf: Hier wäre der ideale Ort für solch eine Installation. Erinnerungskultur ist ein strapazierter Begriff. Nötig, unbedingt. Er muss mit Leben, mit Wachheit, Aufmerksamkeit gefüllt werden. Nie wieder - ist jetzt. Mehr als 300 Messing-Stolpersteine sind dank Patenschaften in Bremerhavener Gehwege eingebaut, viele nehmen sie kaum wahr. Die Bayreuther hatten die Idee: Ein etwa 50x50 Zentimeter großes Quadrat im Pflaster zu öffnen, einen kleinen Lautsprecher darin zu montieren, das Ganze mit einer durchlöcherten Steinplatte zu verschließen - und in Dauerschleife abzuspielen, nicht lautstark, aber so vernehmbar wie jemand, der neben dir hergeht und spricht, von einem Schauspieler alle Namen und Daten ermordeter jüdischer und den Nazis überhaupt unliebsamer Bayreuther vorlesen zu lassen. Ohne Kommentar. Unsentimental. Das fährt unter die Haut. In Kürze ist der 80. Jahrestag des Aufstandes in Auschwitz: Die Gequälten gingen am 7. Oktober 44 mit dem Mut äußerster Verzweiflung mit Äxten, Steinen, Hämmern, Fäusten auf ihre Peiniger los. Sie wehrten sich mit letzter Kraft. Und starben. Wir müssen erinnern. Immer. Ununterbrochen. Überall. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie kostet fast nichts, diese Installation. Ich bin sicher, es wäre vielen Künstlern in dieser Stadt eine Ehre, ein Herzensbedürfnis, den Namen der Verfolgten, Ermordeten, eine Stimme zu geben.
Susanne Schwan
Reporterin
Die gebürtige Düsseldorferin studierte an der Musikhochschule und war 12 Jahre Theaterschauspielerin. Nach Rundfunk-Ausbildung und Volontariat bei der NORDSEE-ZEITUNG ab 1999 leidenschaftliche Menschen- und Geschichtensammlerin. Nebenbei noch Auftritte mit Literaturprogrammen.
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