Den wahren Charakter eines Menschen lernt man kennen, wenn eine zweite Kasse im Supermarkt öffnet. Oder zur Mittagszeit in einer städtischen Bäckerei. 12 Uhr, Mittagspause. Schnell ein belegtes Brötchen holen. Außer mir sind bereits drei andere Kunden im Laden, zwei ältere Herren und ein junger Mann. Eine Verkäuferin bedient, eine andere schmiert Brötchen vor. Zur Mittagszeit wollen schließlich alle belegte Stullen haben. Und das gefällt den beiden älteren Herren gar nicht. „Tzz...nur eine bedient. Kunden gehen vor. Das Andere kann ja wohl warten“, raunt einer von Ihnen. Schon ist er dran, wird bedient und verlässt kopfschüttelnd den Laden. Der andere möchte einen Kaffee, stellt jedoch fest, dass keine sauberen Löffel mehr zum Umrühren da sind. „Tut mir leid, die sind alle dreckig. Nehmen Sie bitte ein Rührstäbchen“, sagt die bedienende Verkäuferin. „Dann waschen Sie sie gefälligst ab! Ich möchte einen Löffel“, tönt der Herr. Nun mischt sich die andere Kollegin ein. „Sie haben doch gerade gesagt, dass es ihnen nicht schnell genug geht. Die Kollegin muss bedienen, zum Abwaschen ist jetzt keine Zeit. Nehmen Sie bitte für den Moment ein Stäbchen.“ Verzweifelt dreht der Herr sich zu mir und dem anderen Kunden um und schreit: „Ich habe auch keine Zeit. Das ist doch unerhört. Können Sie das glauben?“, fragt er und hofft auf Zustimmung. Doch weder der junge Mann neben mir, noch ich, sagen einen Ton. Der ältere Herr bemerkt nicht, dass ER gerade derjenige ist, der sich unerhört benimmt. „Sind Sie dann fertig?“, frage ich ihn. „Andere möchten auch etwas kaufen.“ Er schüttelt den Kopf und stapft von dannen. Die sichtlich verunsicherte Verkäuferin würde ich gerne einfach umarmen. Ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht, als sie mir noch einen schönen Tag wünscht. Ich erwidere das Lächeln und hoffe, dass die anderen Kunden an diesem Tag verständnisvoller sind und netter mit den Verkäuferinnen umgehen.