Neulich habe ich mich mit einer Frau aus der Ukraine unterhalten. Worüber spricht man mit einem Menschen aus der Ukraine, dem man in diesen Tagen begegnet? Über den Krieg natürlich. Also habe ich sie gefragt, ob sie die Geschehnisse in ihrem Herkunftsland verfolgt. „Das beschäftigt mich jeden einzelnen Tag“, war ihre Antwort.
Dann meinte ich mit Blick auf die Akteure in der Politik, dass die „oben“ Entscheidungen treffen und die einfachen Menschen „unten“ die Leidtragenden sind. Da merkte ich, es passierte etwas in ihr. Sie wurde deutlich ungehalten und konnte mir überhaupt nicht zustimmen. „Wir leben nicht im Mittelalter“, entgegnete sie. „Die Menschen können sich informieren, ihre Meinung sagen, demonstrieren.“ Das Volk müsse nicht alles mitmachen, was „die da oben“ entscheiden. Kurzum: Für sie hatte jeder einzelne Russe Schuld am Krieg.
Die Emotionen eines Menschen, dessen Heimat in ihrer Existenz gefährdet ist, kann man natürlich verstehen. Es geht um Menschen, die ihr Leben verlieren. Um Orte, mit denen ein Mensch Erinnerungen verbindet. Und trotzdem habe ich mich gefragt, ob die Gesprächspartnerin nicht eine Haltung formuliert, die typisch ist für ein demokratisches Land; aber nicht viel gemein hat mit den Verhältnissen in einem autoritär geführten Staat.
Wie soll, wie kann sich jemand verhalten, der in einer autoritären politischen Kultur aufgewachsen ist? Der nicht den Luxus besitzt, sich aus der freien Presse zu informieren und unterschiedliche Positionen gegeneinander abzuwägen? Der im Fernsehen nur Erfolgsmeldungen des eigenen Landes hört? Wie soll oder kann jemand für die eigene Meinung auf die Straße gehen, wenn die Polizei die Demonstranten nicht schützt, sondern niederknüppelt? Kann man das wirklich von jedem erwarten?
Das alles führt zu der Frage, welche Verantwortung der Einzelne auch bei großen Themen wie Krieg und Frieden trägt.
Eine schwierige Frage.