Bremerhaven

„Leute sterben, Bilder bleiben“: Die Galerie Teyssen, ein Bremerhavener Kleinod

Harte Rockmusik und sanfte Pinselstriche: Jürgen Teyssen hat eine Leidenschaft für die Kunst. Mit seiner Galerie in Bremerhaven hat er einen einzigartigen Ort geschaffen, der selbst Einheimische überrascht – weil viele daran vorbeigehen.

Jürgen Teyssen

Die Galerie Teyssen ist ein echtes Bremerhavener Original. Jürgen Teyssen ist Glasermeister, Galerist und Hard-Rock-Fan. Foto: Polgesek

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 „Ich zähle immer bis 1.000, dann höre ich auf“

Jürgen Teyssen, Inhaber der Gallerie Teyssen

Wenn vor dem Haus in der Hafenstraße 87 Klappschilder stehen, ist die Gallerie Teyssen offen.

Am Morgen schiebt Gallerist Jürgen Teyssen dieses Gitter zur Seite. Dahinter liegt ein Gang mit Bildern.

Bei gutem Wetter kommt Teyssen mit dem Fahrrad zur Arbeit. In der Arkade können sich Passanten Bilder anschauen.

1.500

Bilder umfasst Teyssens Sammlung ungefähr.

1947

wurde das Geschäft an der Hafenstraße gegründet.

8.000

Schallplatten zählt Jürgen Teyssens Sammlung circa.

Durch die transparente Raumdecke fällt Tageslicht in die Galerie Teyssen. Umgeben von hunderten Ölgemälden steht Jürgen Teyssen in einem rund 30 Quadratmeter großen Raum. Kleine und große Bilder hängen an den Wänden, viele stehen aufgereiht auf dem Boden. Zum Laufen bleibt kaum Platz. In der Luft liegt ein Geruch, den die Zeit hinterlässt. „Ein Griff und die Sucherei geht los“, sagt Jürgen Teyssen, Galerist und Glasermeister aus Bremerhaven. „Das Chaos ist auch eine Form der Ordnung“, sagt er. In der Galerie an der Hafenstraße in Lehe kennt sie keiner besser als er.

Die Kunst bleibt, doch der Wandel der Zeit wird spürbar

Jürgen Teyssen führt ein besonderes Geschäft. Es liegt direkt an der lebhaften Hafenstraße, an der sich internationale Cafés, Gemüseläden, Spielotheken und Restaurants aneinanderreihen. Der Straßenzug ist am Tag voller Menschen. Ein Ort, der sich immer wieder wandeln musste. Jürgen Teyssens Galerie trotzt der Zeit.

Wand und Boden sind gefüllt mit Gemälden. Jürgen Teyssen kennt sie alle.

Durch spezielle Lichtkuppeln fällt Tageslicht in den Ausstellungsraum und lässt die Farben auf den Gemälden leuchten.

Hendrix war ein Held. Für Teyssen gab es nie einen besseren Musiker. Sein Gesicht findet sich in der Galerie häufig wieder.

Wer den Weg in seinen Laden findet, taucht ein in ein Leher Kleinod. Das Geschäft ist ein Ort der Neugierde, der Kunst, des Staunens und lässt jedem etwas Raum für Nostalgie. Im hinteren Teil der Galerie nimmt Jürgen Teyssen ein schweres Ölgemälde in die Hand, Ölfarben auf grober Leinwand. „Das ist ein alter Wilke, das Bild ist fast 100 Jahre alt“, sagt der Galerist aus dem Kopf. Ein Museumsstück.

Paul Ernst Wilke (1894–1971) war ein Bremerhavener Maler. Als Vertreter des Impressionismus widmete sich der Künstler in seinem Werk insbesondere den norddeutschen Landschaften und maritimen Motiven. Bekannt ist der Maler auch durch seine Ehe mit der populären Bremerhavener Sängerin Lale Andersen.

Jürgen Teyssen ist ihm noch selbst begegnet.

Die Geschichten seiner Bilder hat der Galerist im Kopf

Rund 1.500 Bilder fasst Jürgen Teyssens Kunstschatz. Der hochgewachsene 71-Jährige kennt das Geschäft seit Jahrzehnten. Sein Blick ist konzentriert, wenn er über Kunst spricht. Er trägt ein beigefarbenes Hemd. Teyssens Hände haben schon Tausende Bilder eingerahmt.

„Die Leute sterben, die Bilder bleiben“, merkt er an, während er über die große Zahl seiner Gemälde spricht. Durch jahrzehntelanges Sammeln und Kaufen kamen sie in seine Galerie. In dem schmalen Gang zwischen den Gemäldestapeln bleibt Jürgen Teyssen erneut stehen, um ein Bild in die Hand zu nehmen. Es zeigt einen Fischkutter. „Das Bild hing früher auf der Rickmerswerft“, sagt der Galerist. Klaus Bemmer malte es 1951.

Klaus Bemmer (1921–1979) gehörte in der Nachkriegszeit zu den bekanntesten Malern in der Region um Bremerhaven. Ähnlich wie Paul-Ernst Wilke malte er vorwiegend norddeutsche Landschaften.

Der Blick auf eine beeindruckende Sammlung der Künste

Als Bemmer den grünen Kutter malte, gab es das Geschäft von Jürgen Teyssen schon seit vier Jahren. „Mein Vater war Glaser. Nach dem Krieg hat er seinen Meister gemacht“, erzählt der Galerist von den Anfängen des Geschäfts. Teyssens Eltern eröffnen die Glaserei in einem historischen Leher Haus, der Hausnummer 87. Eine Urkunde von 1844 bezeugt die Anfänge in der Boomzeit des Stadtteils. Mit seinem typischen Satteldach und der Bleiverglasung im ersten Stockwerk gehört es heute zu den ältesten Häusern an der Hafenstraße. Wenn Jürgen Teyssen in seinem Laden ist, steht ein Klappschild auf dem Gehweg. „LPs der 70er und 80er“, steht auf dem orange-grünen Untergrund.

Der Bremerhavener Künstler Paul-Ernst Wilke war ein Kunde von Jürgen Teyssens Eltern. Auch er traf den Künstler im Familiengeschäft.

Ein Blick durch die Galerie von Jürgen Teyssen.

Hendrix aus den Boxen, Hendrix an der Wand. Wie er zu den Drogen greifen konnte, versteht Teyssen bis heute nicht.

Die Musik ist Jürgen Teyssens zweite Leidenschaft. Hinter der Glastür, die in die Galerie führt, stehen Kartons mit Schallplatten auf dem Boden. Teyssen bereitet sich auf die nächste Vinylbörse vor.

„Wie sich jemand Heroin spritzen kann, werde ich nie verstehen.“

British Rock, Hard-Rock, Black Sabbath, Led Zeppelin: „So die Klassiker“, sagt Teyssen ruhig. „Mein Favorit ist Hendrix“, sagt er – und das ist unschwer zu erkennen. Das Gesicht des ikonischen US-Musikers taucht überall in der Galerie auf. „Immer mit Gitarre und Fluppe im Hals: Wie sich jemand Heroin spritzen kann, werde ich nie verstehen“, sagt der 71-Jährige mit zartem Bedauern in der Stimme.

Jimmy Hendrix (1942–1970) war ein legendärer Rock-Musiker von der amerikanischen Westküste. Er starb an einer Überdosis. Hendrix gilt bis heute als einer der besten Gitarristen aller Zeiten.

Jürgen Teyssen hinter seiner Ladentheke.

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Diese Urkunde von 1844 belegt die Anfänge des Hauses, in dem sich die Galerie heute befindet. Es gehört heute zu den ältesten Gebäuden an der Hafenstraße.

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Jürgen Teyssen weiß, wo er die Dinge findet, die er in seinem Laden sucht.

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Zu einem guten Bild, gehört auch ein guter Rahmen, sagt Jürgen Teyssen.

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Seine Musik fesselt den Glasermeister seit seiner Jugend und entfacht die Liebe zu Schallplatten in ihm. Teyssen besitzt heute zwischen 6.000 und 8.000 Platten. „Ich zähle immer bis 1.000, dann höre ich auf“, sagt er. Einen Teil der Sammlung bietet der Galerist mittlerweile in seinem Laden an.

Der Schaffensdrang fehlt zum eigenen Künstlerdasein

In einer Ecke vor der holzvertäfelten Wand steht ein Plattenspieler. Durch die angeschlossenen Boxen dringt der Sound, der Teyssen begeistert: Rockmusik. „Den habe ich vor 50 Jahren auf der Hafenstraße gekauft“, erzählt er. Sein Sound erfüllt die Räume der Galerie – und auch Jürgen Teyssen.

Wenn Bremerhavener über Kunst spricht, verliert er ein Stück seiner norddeutschen Nüchternheit. Er kommt ins Schwärmen und seine unerschöpfte Begeisterung für die musischen Künste dringt durch – auch wenn er selbst kein Künstler ist. „Ich habe den Drang dazu nicht“, erklärt Teyssen, während er zwischen den vielen hundert Gemälden steht. Er sieht sich selbst als reiner Genießer. „Wenn ich gute Bilder sehe, geht mir das Herz auf.“ Genau wie in den Momenten, in denen er über seine Bremerhavener Meister spricht.

Foto-Reportage:

Levin Meis und Radoslaw Polgesek

Umsetzung:

Charlene Schnibbe und Lena Gausmann

Über die Autoren

Radoslaw Polgesek

Fotograf

Geboren in Polen und aufgewachsen im malerischen Büren, führte ihn seine Leidenschaft zur Fotografie nach Hamburg. Nach über 10 Jahren in der Porträt- und Werbefotografie folgte er seiner Berufung und arbeitet nun als Bildreporter bei der NORDSEE-ZEITUNG. Besondere Momente soll man festhalten.

Levin Meis

Volontär

Als gebürtiger Ostwestfale ist Levin Meis nach einem Studium der Medienkulturwissenschaft und der Geschichte ganz im Süden Deutschlands, in Freiburg, in den hohen Norden gekommen. Bei der NORDSEE-ZEITUNG lernt er als Volontär das Handwerk des Journalisten in allen Facetten.

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