Bremerhaven

Abschiedsbrief an einen lieben alten Lebensbegleiter

Wie kann ein altes Möbelstück so einen Gefühlswirbel verursachen? Eine Frage, der unsere Kolumnistin im heutigen „Moin“ auf den Grund zu gehen versucht.

NZ-Redakteurin Susanne Schwan

NZ-Porträts. Foto: Hartmann Foto: Arnd Hartmann

Das ist ein Liebesbrief. Oder eine Hommage - an meinen alten Tisch. An all seine Narben, die er sich im Dienst für andere zugezogen und mit Würde ausgehalten hat. Lieber alter Tisch, nun ist unsere gemeinsame Zeit vorbei. Du bist bei mir ausgezogen. Die Trennung tut weh.

Aber meine Hoffnung ist groß, dass du ein neues Zuhause findest, in dem deine Ausstrahlung, dein Charakter geliebt wird - schließlich bist du schön gebaut, rund, aus gutem Holz. Handgearbeitet. Einzelstück. Wirkst zierlich im Schwung der schlanken Beine, dabei solide, robust obenrum. 25 Jahre lang habe ich all das geschätzt, zumal du die Gebrauchsspuren vieler Jahrzehnte mit zu mir gebracht hattest. Kleine Schrammen. Goldfarbene Flecken... Whiskey? Und die große Brandnarbe - gezackte, angekohlte Rille, eines vielleicht abgestellten Plätteisens aus deiner Jugend, 30er, 40er Jahre herum? Wir beide, lieber Tisch, haben sie nie versteckt, die Lebensspuren unserer Oberfläche. Warum auch? Wer uns mag, mag auch die. Klaglos hast du drei, vier Umzüge meines Lebens mitgemacht. Warum bloß trenne ich mich? Weißt du, Tisch, wir beide haben uns still und leise auseinander gelebt. Passen nicht mehr zusammen. Vielleicht, weil ich mich verändere, du nicht - das ist zwar eine Qualität in wankenden Zeiten. Aber Leben ist Verwandlung. Überall hab ich gefragt, wer dich zu sich nehmen möchte. Keiner. Aber alle haben mir ins Gewissen geredet: Oh, der ist so toll, den darfst du nicht weggeben. Meine mutigen Freunde, Ines und Hartmut sei Dank, haben dich durch die Nadelöhre meiner Wohnung manövriert und dorthin gebracht, wo Ausrangiertes zum Mitnehmen verschenkt werden darf. Adieu, Tisch. Schreibe deine Geschichte weiter... wer weiß, falls wir uns mal wiedersehen, geb‘ ich einen rauchigen Single Malt aus, Holz-gereift. Slainthe, alter Freund.

Susanne Schwan

Reporterin

Die gebürtige Düsseldorferin studierte an der Musikhochschule und war 12 Jahre Theaterschauspielerin. Nach Rundfunk-Ausbildung und Volontariat bei der NORDSEE-ZEITUNG ab 1999 leidenschaftliche Menschen- und Geschichtensammlerin. Nebenbei noch Auftritte mit Literaturprogrammen.

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