Einer der Kanzlerkandidaten bei der bevorstehenden Bundestagswahl starrt mich von einem am Laternenmast hängenden Plakat an, wenn ich morgens zur Arbeit fahre. Unter seinem Gesicht steht gut lesbar das Wort Zuversicht geschrieben.
Ich frage mich, ist der Kandidat zuversichtlich? Von dessen Gesicht kann ich derlei nicht zweifelsfrei ablesen. Ich spüre vielmehr die Aufforderung, ich möge Zuversicht zeigen. Wovon sollte sie getragen sein? Von Berufspolitikern, die der ihnen mit der Wahl übertragenen Verantwortung nicht gerecht werden?
Ich stelle den stetigen Verfall der Straßen fest, die ich täglich befahre. Ich erlebe die kollabierende Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Soll ich Zuversicht zeigen im Angesicht der maroden und unzuverlässigen Bahn? Der Klimakrise? Des fortschreitenden Artensterbens? Der hohen Energiekosten? Der augenfälligen Unordnung im Land? Der offensichtlich überforderten Sicherheitsorgane? Einer Bundeswehr, die alles zusammenkratzen muss, um in Litauen eine Kampfbrigade aufstellen zu können? Einer erodierenden Gesellschaft? Zunehmender Aggressivität im Umgang miteinander? Sinkenden Bildungsniveaus? Grassierenden Verlustes von Sozialkompetenz unter den Jüngsten?
Soll ich Zuversicht zeigen, weil sich weite Teile der Bevölkerung Handwerker und andere Dienstleister nicht mehr leisten können? Weil sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet? Weil der Planet immer rücksichtsloser geplündert wird? Weil es an erschwinglichem Wohnraum fehlt? Weil Rechtsextreme auf dem Vormarsch sind? ...
Zuversichtlich stimmt mich, dass die Tage langsam wieder länger werden. Vielleicht ist es das, worauf der Mann vom Plakat anspielt.