Wurster Nordseeküste

Acht Gehirntumore in zehn Jahren: Familie kämpft um das Leben ihres Sohnes (13)

Eine Familie aus Dorum kämpft um das Leben ihres Sohnes. Nach acht Gehirn-Operationen in zehn Jahren ist eine Therapie in Rom der vorerst letzte Hoffnungsanker. Um die kostspielige Behandlung mitzufinanzieren, setzt die Familie auf ein Spendenportal.

Zwischen Hoffen und Bangen: Nathanael nach einer früheren Chemotherapie mit seinen Eltern.

Zwischen Hoffen und Bangen: Nathanael nach einer früheren Chemotherapie mit seinen Eltern. Foto: privat

Nathanael ist 13. Ein Teenager, der sich für Sport interessiert, beim OSC Bremerhaven schwimmt, gern wandert und in den Bergen Fahrrad fährt. „Ein besonderer Junge“, beschreibt ihn sein Vater Michael Brück, „willensstark und konsequent, sportlich, klug und fröhlich.“ Geboren in Frankfurt am Main, lebt der Gymnasiast seit zwei Jahren mit seinen Eltern und seinem eineiigen Zwillingsbruder Nicolas in Dorum. Nicht weit von hier ist seine Mutter aufgewachsen und seine Großmutter zu Hause.

Eineiige Zwillingsbrüder: Nathanael (links) und Nicolas.

Eineiige Zwillingsbrüder: Nathanael (links) und Nicolas. Foto: privat

Die Familie ist in den Norden gezogen, weil sie die Hilfe ihrer Angehörigen benötigt. Denn Nathanael hat Krebs. Seit zehn Jahren leidet er an einem Hirntumor, einem sogenannten desmoplastischen Medulloblastom.

„Keiner konnte zunächst sagen, was Nathanael hat“

Angefangen hat alles 2014, kurz vor der Fußball-WM. Nathanael war gerade in einen Fußballverein eingetreten, als er begann, unter Krampfanfällen zu leiden. Die Eltern fuhren von der Kinderarztpraxis zum Krankenhaus und weiter zu Kinderambulanzen. Der Vater spricht von einer Odyssee: „Keiner konnte sagen, was er hat.“

Als der Dreijährige eines Tages so schlapp ist, dass er keine Lust auf seinen Lieblingssport Fußball hat, fährt der Vater mit dem Sohn in die Frankfurter Uniklinik. „Dort hat er zum ersten Mal eine neurologische Auffälligkeit gezeigt, er konnte das Gleichgewicht nicht halten und hat sich unvermittelt übergeben, ohne dass ihm schlecht war“, sagt Brück.

Ärzte finden taubeneigroße Geschwulst im Kleinhirn

Die Ärzte ordnen ein Not-MRT an und finden eine taubeneigroße Geschwulst im Kleinhirn des Jungen. Der Tumor ist operabel. Drei Tage später wird er entfernt. Eine Standardtherapie schließt sich an. Die Familie hofft, dass es ausgestanden ist. „Der Tumor tritt selten und meist im frühkindlichen Alter auf“, erfährt Nathanaels Vater. „In 80 Prozent der Fälle kommt er nach einer einmaligen Behandlung nicht mehr wieder.“

Bei Nathanael verläuft die Krankheit anders. Für die Familie beginnt ein Leben im Dauerausnahmezustand. Nach der ersten Operation im Jahr 2014 bildet sich schnell ein neuer Tumor. 2015 wird er operiert. Eine besondere Form der Protonenbestrahlung schließt sich an. Nach dreieinhalb Jahren denkt die Familie, Nathanael hat den Krebs überwunden. Doch 2018 kommt es erneut zu einem Rückfall. Im selben Jahr wird er wieder operiert.

Acht Operationen am Kopf, Chemotherapien, Bestrahlungen

Weitere Tumore werden 2020, 2022, 2023 und Anfang 2024 gefunden. Jedes Mal folgt eine große Operation in der Neurochirurgie der Universitätsklinik Frankfurt am Main. „Wir haben alles probiert“, berichtet Vater Michael über die Behandlungen. Nathanael erhält Chemotherapien, Bestrahlungsbehandlungen am Westdeutschen Protonentherapiezentrum (WPE) in Essen, verschiedene Medikamente, die teils lebensbedrohliche Nebenwirkungen hervorrufen. „Aber nichts konnte den Tumor aufhalten.“

Nathanael möchte Meeresbiologe werden. „Wir setzen alles daran, dass wir ihm diesen Wunsch erfüllen können“, sagt sein Vater.

Nathanael möchte Meeresbiologe werden. „Wir setzen alles daran, dass wir ihm diesen Wunsch erfüllen können“, sagt sein Vater. Foto: privat

Was die Familie zusätzlich beunruhigt: Die Rückfälle kommen in immer kürzeren Abständen, und im Februar 2024, bei der letzten Operation, konnte der Tumor erstmals nicht vollständig entfernt werden. Doch es gibt Hoffnung auf eine neue Behandlungsmethode, berichtet Brück. Er ist Rechtsanwalt, lehrt an einer Fern-Uni und hat sich so tief in die Krankengeschichte seines Sohnes eingearbeitet, dass er selbst schon fast wie ein Onkologe klingt, wenn er die Therapien für seinen Sohn erklärt.

Familie setzt auf „vorerst letzte, aber vielversprechende Therapie“

Es ist „die vorerst letzte, aber vielversprechende Therapie, die ziemlich neu und kostspielig ist“. Es geht um eine Behandlung mit sogenannten CAR-T-Zellen, die einen bei Nathanael nachweislich vorhandenen Rezeptor auf der Tumoroberfläche ansteuern und damit die entsprechende Tumorzelle zerstören können.

„Die Behandlung ist für Nathanaels Tumorart nur an einem einzigen Krankenhaus in Europa möglich, dem päpstlichen Kinderkrankenhaus in Rom“, sagt sein Vater. Dort soll Nathanael in eine klinische Studie aufgenommen werden. In Kürze finden die Eingangsuntersuchungen statt. Im Mai soll sich eine mehrmonatige Therapie anschließen, die anschließend über viele Jahre begleitet werden müsse.

Nach der Eingangsuntersuchung wird Nathanael für längere Zeit im Krankenhaus in Rom verbringen, sagt Brück. „Sobald es eine Komplikation gibt, kann es sich auch noch mal deutlich verlängern. Wir laufen in eine für uns nur schwer kalkulierbare Situation.“

Für die Familie bedeutet die Behandlung „immense Kosten im hohen sechsstelligen Bereich“. Dabei fielen auch Kosten an, die nicht von der Krankenkasse oder dem Sponsor der Studie übernommen würden, etwa Reise- und Unterbringungskosten. „Wenn man kein riesiges Vermögen hat, kann man das nicht finanzieren“, sagt Brück.

Spendenaufruf bringt 46.000 Euro in zehn Tagen

Durch die Frankfurter Uniklinik ist die Familie auf gofundme gestoßen, eine Plattform, über die nach dem Crowdfunding-Prinzip Spenden für bestimmte Zwecke eingeworben werden. Das Spendenziel der Dorumer Familie beträgt 150.000 Euro. „Aber kein Arzt kann uns sagen, was es am Ende wirklich kostet.“

In bewegenden Worten erzählt Nathanaels Vater unter https://www.gofundme.com/f/nathanael-und-seine-familie-kampfen-um-sein-leben die Krankengeschichte des Sohnes, illustriert von persönlichen Fotos, die Nathanael und seine Familie in verschiedenen Jahren und Therapiestufen zeigen. Innerhalb der ersten zehn Tage des Spendenaufrufs sind bereits mehr als 46.000 Euro von gut 700 Menschen zusammengekommen.

Nathanael

Nathanael Foto: privat

Brück lächelt. „Dass der Aufruf eine so große Welle der Hilfsbereitschaft losgetreten hat, erfüllt uns mit Demut und Dankbarkeit. Das hilft uns nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch psychologisch durch die Anteilnahme so vieler Menschen. Das tut uns als Eltern, aber auch Nathanael und seinem Zwillingsbruder gut.“

Trotz Risiken: Jede neue Behandlung bedeutet neue Hoffnung

Die Behandlung im Rom birgt Risiken. „Wir bewegen uns in der Therapie und den Therapieoptionen schon lange in einem Bereich, den man als experimentell oder sogar hochexperimentell bezeichnen muss“, sagt Brück. Doch die Familie sieht keinen anderen Weg.

Nathanaels Tumor ist selten, alle bisherigen Therapien waren nicht erfolgreich. Worauf die Familie und Ärzte jetzt setzen, werde gerade erst medizinisch erforscht. „Viele Forschungen sind noch gar nicht in der klinischen Praxis angekommen. Das ist sehr frustrierend, an so einer Krankheit zu leiden, wo das der Fall ist.“

Und doch, sagt Brück, bedeute jede Therapie für die Familie neue Hoffnung. Denn sie verschafft Zeit. Zeit für weitere Forschungen, die für Nathanaels Krebs doch noch Heilung bringen könnten. „Wir sind dankbar, dass wir es bislang geschafft haben, ihm das Leben zu sichern und er ein halbwegs lebenswertes Leben führen darf. Für uns ist jedes Jahr ein Gewinn.“

Traumberuf Meeresbiologe soll wahr werden

Auf der gofundme-Seite des Spendenaufrufs der Familie ist ein Foto von Nathanael zu sehen, auf dem er sich in ein Buch vertieft. Es ist „Eingefroren am Nordpol. Das Logbuch von der ‚Polarstern‘“, in dem Markus Rex von der Arktis-Expedition MOSAiC berichtet.

„Nathanael hat ein Praktikum beim AWI gemacht“, erzählt sein Vater. „Meeresbiologie, das wäre sein Ding.“ Brücks Stimme, die so fest und unerschütterlich wirkt, bricht für einen Moment weg. „Wir tun alles dafür, dass er das einmal studieren und erleben kann, als Meeresbiologe zu arbeiten.“

Heike Leuschner

Reporterin

Heike Leuschner hat sich nach einem Jura-Studium für die journalistische Laufbahn entschieden. Seit 2010 ist sie als Redakteurin in der Lokalredaktion der NORDSEE-ZEITUNG beschäftigt. Privat sieht man sie oft mit Kamera – oder gar nicht. Dann ist sie auf Reisen.

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